Ein für die Jahreszeit relativ milder, aber dennoch kalter Tag d?mmerte. Die Sonne schien bei der Scheibe herein und Wenzel wachte dadurch recht bald auf. Er ging heraus in den Hauptraum des H?uschens und wusch sich die H?nde in dem kleinen Eimer, den er dafür immer bereitstehen hatte. Dann schnitt er sich ein Stück Brot von einem angefangenen Laib herunter und bestrich es mit Butter. Als er auf diese Weise gerade sein Frühstück verzehrte, kam Brahm wieder bei der Tür herein. Er war schon auf, hatte aber bis jetzt gemeinsam mit seinem Kollegen Ferenc den Schnee weggeschaufelt, der über Nacht wieder vom Himmel gefallen war. ?Morgen!“, begrü?te er den noch immer verschlafenen Kerl. ?Dir auch einen guten Morgen!“, erwiderte der Adressierte und klatschte mit seinem Freund ab. ?Nachdem es heute schon wieder schneit, würde ich sagen, dass wir das Training heute wieder kurzhalten“, meinte Brahm. Sein Schüler stimmte ihm da zu. Dann ging der Blondschopf zum Tisch und schnitt sich auch ein Brot herunter.
?Boss, ich glaube wir bekommen Besuch!“, informierte sie Ferenc. ?So früh? Wer ist es denn?“, kam die Nachfrage. Bevor der kascharischst?mmige Leibw?chter antworten konnte, hatte sich eine etwaige Antwort aber auch schon erübrigt. Durch die offene Tür konnte man schon sehen, wie der übergro?e Feldmarschall im Anmarsch war. Er war in dicken Fellen gekleidet, was eher typisch für das Kascharenland war als für die Gegend, in der sie sich aktuell befanden. Er klopfte seine Stiefel ab und trat beim Tor herein. Bei ihm wurde nicht lang herumgefackelt. ?Sch?nen, guten Morgen Jungs! Wenzel!“ Die anderen erwiderten den Gru?. ?Wir haben etwas sehr Wichtiges zu erledigen, das ein paar Tage in Anspruch nehmen wird. Und ich h?tte dabei gerne die Unterstützung von dir, Brahm.“ Der Angesprochene entgegnete: ??hm, okay. Worum geht’s denn?“ Mit der üblich stoischen Miene antwortete Theodor: ?Es hat ein Adelshaus mit uns Kontakt aufgenommen, um das überlaufen auf unsere Seite zu verhandeln!“ Das waren hervorragende Nachrichten, keiner wusste, warum Theodor mal wieder so emotionslos war. Auch Brahm war dadurch gleich in bester Stimmung.
?Es sind die Duenitz.“ Beim Vernehmen dessen schien alle Fr?hlichkeit aber unverzüglich seinen K?rper wieder zu verlassen und machte einem kühlen Temperament Platz. Der Bodyguard des Erkorenen schwieg einen Moment und Theodor schaute ihn nur still an. Schlie?lich erhob er aber die Stimme: ?Und du willst wirklich, dass ich die Sache mitverhandle?“ – ?Ja“, kam es kurz und knapp zurück. Brahm lie? einen Seufzer aus. ?Mir leuchtet schon ein, warum du mich dabeihaben willst.“ Er pausierte kurz und blickte zu Wenzel hinüber, der ihm einen etwas verlorenen Blick entgegenwarf, da er keine Ahnung hatte, was der Grund für dessen Z?gern war. ?Also gut!“, gab er schlie?lich sein okay. Sobald der Feldmarschall seine Zusage erhalten hatte, verlor er keine Sekunde. ?Passt! Pack euch so schnell wie m?glich zusammen, wir reiten gleich los!“, gab er sofort den Ton an. ?Warte! Wer passt dann auf Wenzel auf?“, stellte der Mann seine berechtigte Frage. ?Er kommt einfach mit“, war die schlichte L?sung, die er ihnen sogleich dafür anbot. ?Zieht auch warm an! Es wird ein langer Ritt nach Cislimesien!“
Und es war durchaus ein langer Ritt in den Süden. Zu viert brauchten sie fast drei Tage, um den Herrensitz der Duenitz zu erreichen. Als sie ankamen, war es Nachmittag und wieder einmal vielen viele, dicke Flocken vom Himmel herab. Vor den Widerst?ndlern pr?sentierte sich eine riesige Burg mit allem, was dazugeh?rt. Also, ein Wassergraben, eine Burgmauer, Schie?scharten, ein Bergfried weiter drinnen, et cetera. An einem Fahnenmasten waren die Fahnen des Landes und des Bundes gehisst. Als sie am Tor ankamen, stellte sich Theodor als der Feldmarschall vor. Somit wurde das Tor sofort für sie ge?ffnet. Als sie im Hof ankamen, stiegen sie von den Pferden und gingen eigenst?ndig bei der Tür des Hauptgeb?udes hinein. Erst, also die vier schon drinnen waren, kamen ihnen hastig ein paar Diener entgegen. Nerv?s verwiesen sie sie darauf, dass ?man hier keine Waffen führen darf“, aber die Revolution?re weigerten sich ihre Schwerter abzugeben. Es war ein riesiges Treiben im Geb?ude nach deren Ankunft zu vernehmen. Die vier warteten einfach im Stehen, wurden aber bald in den Saal des Herren von Cislimesien geleitet.
Es war ein unerwartet kleiner Empfangssaal. Sein Durchlauchtester Fürst von Duenitz sa? auf einem etwas erh?hten Stuhl am Ende eines langen Tisches. Er hatte für einen Mann fast schon zu lange Haare, die teilweise bereits anfingen zu ergrauen. Er trug relativ unzeremonielle Gew?nder, was vermutlich der Tatsache geschuldet war, dass die G?ste aufgrund des Wetters nicht genau wussten, wann sie ankommen würden. Am Tisch sitzend waren mehrere andere Mitglieder seines Hauses. ?Guten Tag, meine hoch gesch?tzten G?ste!“ Erst jetzt nahmen die Eingeladenen die Kapuzen von ihren K?pfen. Sogleich darauf war Erstaunen in den Augen aller Anwesenden, inklusive der des Herren, zu sehen. Brahm erhob als Erster die Stimme: ?Hallo, Vater!“ Der alte Duenitz riss sich gleich wieder zusammen und antwortete: ?Die Welt ist voller überraschungen! Das wir uns unter diesen Umst?nden wiedersehen, h?tte wohl keiner von uns erwartet.“ – ?Nein, garantiert nicht.“ Danach stellt Theodor seine kleine Gefolgschaft vor. Als er Wenzel als den Erkorenen einführte, war die ganze Runde, welche etwas zu nuscheln begonnen hatte, pl?tzlich zu Eis erstarrt. Absolut niemand von ihnen h?tte damit gerechnet, dass diese Person hier heute auch anwesend sein würde.
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Dann stellte sich der hohe Herr als Robert von Duenitz vor. Ein Name, den Brahm ganz offensichtlich abgelegt hatte. Wie bei Theodor üblich, verlor er keine Zeit und begann sofort die Verhandlungen. Wie nun Robert ihnen offenlegte, hatten die M?rtyrerbrigaden in den letzten Jahren offenbar ganz massive Probleme für das Haus in ihrem Land verursacht. Sie würden nicht l?nger aushalten k?nnen, wenn die Sache sich noch verschlimmerte, was angesichts der aktuellen Entwicklungen eindeutig so kommen musste. Dies war aber nicht der Hauptgrund für den Kontakt mit den M?rtyrern. Der Putsch in Greifenburg hatte für sie die Legitimt?t des Regimes endgültig ruiniert. Der Herr Cislimesiens erl?uterte: ?Wir wissen, dass das K?nigshaus die letzten Jahre schon nicht daran interessiert war, wie es um das Land Cislimesien oder das Haus Duenitz bestellt ist. Ihnen war ohnehin immer nur Macht und Kontrolle wichtig. Die gr??ten Opfer mussten von unserer Seite dafür gebracht werden, damit wir auch ?fromm und alethisch genug“ für die in Greifenburg waren.“ Brahm warf ihm einen finsteren Blick zu als der Mann dies sagte. Wenn Blicke t?ten k?nnten…. ?Aber ohnehin hat es uns nicht geholfen, uns seiner Majest?t und der Alethischen Kirche noch mehr zu unterwerfen und ihren Forderungen noch mehr nachzugeben. Letztendlich ist die Situation trotzdem immer schlechter geworden.“
Nun ergriff Theodor das Wort: ?Die Sache ist recht simpel. Ihr h?rt auf, gegen die M?rtyrer zu k?mpfen. Stattdessen kooperiert ihr mit uns und lasst uns auf euren Territorien v?llige Freiheit zu operieren und offen zu rekrutieren. Au?erdem werden wir euch um ein paar kriegsnotwendige Rohstoffe bitten. Das ist alles. Einstweilen sind die Steuern in Form von Geld bei euch ausgesetzt, bis das eine vollwertige neue Regierung existiert. Eine Regierung von uns, meine ich natürlich.“ Der Landesherr runzelte die Stirn. Dann entgegnete er aber: ?Wir haben ohnehin schon in den letzten Jahren viel zu viele von unseren Untertanen im Kampf mit euch verloren, also k?nnten wir einstweilen nicht allzu viele durch eine Musterung bereitstellen. Das ist ein sehr gutes Angebot. Ihr kennt unser Land und unsere Umst?nde recht genau, oder?“ Der Feldmarschall erwiderte prahlend: ?Wir haben eine recht gute Aufkl?rung und gute Informanten.“
Wenzel spielte im Wesentlichen keine Rolle in den Verhandlungen. Er war vielmehr da, um Eindruck zu schinden, und weil Theodor ihm keinen übergangsleibw?chter geben wollte. Warum auch immer. Schlie?lich hatte aber Brahm noch eine Bedingung! Er blickte seinem Vater, der weit weg von ihm am anderen Ende des langen Tisches sa?, in die Augen und sagte: ?Die M?rtyrerbrigaden verlangen aber, die Rückkehr zu den altgl?ubigen Praktiken im ganzen Lande! Und alle Kirchen und geistlichen Besitztümer müssen wieder an die Altgl?ubige Kommune zurückfallen.“ Theodor intervenierte: ?Ich stimme zwar mit meinem Kameraden überein, aber diese Schritte sind schwer in der jetzigen Situation sofort umzusetzen. Ich schlage vor, wir lassen geben hier noch kein genaues Tempo vor, bis wann dies geschehen muss. Die aktuellen Geschehnisse werden hier viele unvorhersehbare Faktoren noch hineinwerfen.“ Dies war das erste Mal, dass Brahm seinen Befehlshaber b?se anschaute und beleidigt schnaufte. Selbst Wenzel erkannte hier, dass er offensichtlich gro?e famili?re Zerwürfnisse wegen der Dinge, die Geschehen waren, gegeben hatte.
Theodor wandte sich sogleich Wenzel zu und sagte: ?Was meint ihr, Eure Hoheit?“ Der Junge war im ersten Moment etwas verblüfft. So hatte ihn der Feldmarschall noch nie adressiert. Ihm gefiel dies nicht, aber er würde wohl akzeptieren müssen. Dann gab ihm schlicht und einfach recht in Bezug auf die Vereinbarung, da er sowieso nicht allzu viel von diesen Sachen verstand und auf die Weisheit seiner Verbündeten hier vertraute. ?Dann steht die Sache mal fest!“, verlautbarte Theodor. ?Was meint ihr, mein Herr? Sind diese Bedingungen für Euch akzeptabel?“ Robert von Duenitz diskutierte dann eine Weile mit seinen Beratern. Sie verliesen den Tisch nicht, waren aber m?glichst leise, sodass man sie nicht sonderlich h?rte. Letztlich verkündete er vor allen: ?Wir akzeptieren eure Konditionen.“ Der Feldmarschall stand auf und ging zu dem Herrn hinüber. Dann schüttelten sie sich die Hand. Es war vollbracht. Cislimesien war das erste Land, des Ordanischen K?nigreiches, welches sich der Rebellion anschlie?en würde!
Letztendlich hatte es keine Unterstützung von Brahm gebraucht. Ganz im Gegenteil, sein Mitkommen hatte wohl eher für Missgunst bei vielen hier gesorgt. Dies hatte Theodor aber nicht wissen k?nnen. Ungeachtet dessen, hatte das Adelshaus der Duenitz das Limit, des für sich Ertragbaren erreicht. Sie waren nicht aus Solidarit?t oder Begeisterung für die Ziele des Widerstands übergelaufen, sondern aus reiner Aussichtslosigkeit und Ernüchterung. Offiziell würden sie noch bis zum Ende des Winters warten, bis sie ihre Rebellion gegenüber dem Herrscherhaus ankündigen würden. Der Grund dafür war das gro?e Projekt, das auf Hochtouren von den M?rtyrern vorbereitet wurde. Der Tag, an dem der Winter endete, würde der gro?e Tag des Aufstands sein!